Aficionados y Conquistadores

Caspar David Friedrich: Sonnenuntergang (Brüder) – Eremitage, Sankt Petersburg.
Caspar David Friedrich: Sonnenuntergang (Brüder) – Eremitage, Sankt Petersburg ⎜ 🔍

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Liebe, der romantischen, der erotischen, der leidenschaftlichen, und der Freundschaft scheint mir in deren Blickrichtung und Raumaufteilung zu bestehen. Während Liebende, frisch Verliebte zumal, aufeinander schauend, einander genügend, Abstand von der Welt nehmen, um in intimer Klausur die reflektierende Bestätigung gegenseitigen Begehrens zu genießen, finden sich Freunde, frisch Befreundete zumal, im Blick nach außen und dem wechselseitigen Erstaunen über unverhoffte Entsprechungen des Romantischen, Erotischen und Leidenschaftlichen. Ohne gegenseitige Betrachtung ist der Seitenblick ihr Kick – Wowee Zowee? – Pavement! – aus dem Augenwinkel erkennen sie einander.

(Geraten Introversion der Liebe und Extraversion der Freundschaft überkreuz, haben die meist fatalen Konsequenzen möglicherweise damit zu tun, dass in der Liebe zu ein und derselben Frau die Reflexivität spiegelnden Begehrens die Weltoffenheit der Freundschaft egozentrisch implodieren lässt.)

Freundschaft wächst und gedeiht in der Aneignung und im Umgang mit einem Dritten, mit den Gegenständen gemeinsamer Begeisterung. Keine Freundschaft ohne Passion, die sich auf Gleiches richtet. Aficionados, leidenschaftliche Liebhaber des Selbigen, erfahren die Bestätigung ihrer selbst im selbstlos entäußernden Spiel über Bande; in einer Ménage-à-trois mit der Welt und ihren Attraktionen öffnen sich die sperrigsten Eigenbrötler. Verwundert treten sie vor ihre Selbstbedienungsläden, irritiert durch eine zustimmende Stimme, die sich nicht so einfach als rechthaberisches Echo abtun lässt. – »Friendship is born at that moment when one person says to another: ›What! You too? I thought I was the only one.‹« (C. S. Lewis) – Ohne Freundschaft ist Aufgeschlossenheit ausgeschlossen!

»Wie gesellet doch Gott beständig Gleiche zu Gleichen!« heißt es gerne, und ist an berufener Stelle alles andere als nett gemeint. Doch fällt die Gleichheit unter Freunden nicht vom Himmel. Mögen Gleichheit von Stand und Gaben (wie die Alten so bündig, wie treffend zusammenfassten), mögen Augenhöhe, Standing, Unabhängigkeit, Hierarchiefreiheit (wie wir Spacken heutzutage stammeln) als Voraussetzung freundschaftlicher Bindung gelten, Gleichgesinntheit ergibt sich als Folge freundschaftlicher Angleichung im Laufe der Jahre und Jahrzehnte gerade erst aus den unterschiedlichen Perspektiven auf die Gegenstände gemeinsamer Faszination, Schwärmerei, Verehrung. »Das was demselben gleich ist, ist unter sich gleich«, lautet das erste Axiom Euklids, und more geometrico entwickelt sich die Freundschaft aus der Adäquation.

Verliebtem Nestbautrieb steht die Landnahme der Befreundung gegenüber. Aus unterschiedlicher Richtung angepeilte Marken geben ersten trigonometrischen Verortungen halt. Ich bin o.k. – Du bist o.k. kann niemals Land gewinnen, K.O.O.K. aber sehr wohl, wenn zuvor provisorische Pflöcke eingeschlagen wurden, die, noch vor dem Setzen fixer Marksteine, eine allererste, noch relative, höchstpersönliche Positionsbestimmung erlauben. Ist digital besser? – Für mich? – Für dich? – Und schon hat der Wunsch nach gleichem Abstand zu einer Gesellschaft, in der man bunte Uhren trägt, zur Ausrüstung einer Expedition geführt, die sich die Eroberung einer eigenen Welt zum Ziel gesetzt hat. »In einer Freundschaft wie dieser gibt es kein zurück« heißt es dann, und gemeinsam legen die Conquistadores Brand an die Schiffe, die sie hierher an die Gestade ihrer terra nova brachten.

Trigonometrisches Netz Bayerns

Trigonometrisches Netz Bayerns

Unsere Bands, unsere Romane, unsere Filme, Bilder, Hassobjekte, Denkfiguren sind die Fixpunkte einer gemeinschaftlich erschlossenen Neuen Welt. Erst aus wohlunterschiedenen, großzügig differierenden, nicht zu knapp bemessenen  Blickwinkeln anvisiert, vermag sich zwischen ihnen ein raumgreifendes  geodätisches Netz aufzuspannen, das dieses neu errichtete Reich der Freundschaft zu kartographieren erlaubt. – (»We are the tigers, we need separate rooms, we are so divided, let us in …«)

(Vielsagend, die interessanten Sonderfälle, in denen sich keine Einigkeit einstellen mag. Es ergeben sich weiße Flecken auf der Landkarte (Puccini etwa, oder JSBX; Ballsportarten, Bach oder Bowie), die unter prosaisch-kommissarischer Verwaltung stehen. Doch wird in aller Regel dem wissenden Dissens unter Freunden der Vorzug gegenüber den Zustimmungsavancen uneingeweihter Außenstehender gegeben. Dieses stillschweigende Einverständnis, auch über die Meinungsverschiedenheit hinweg, das die Freundschaftsumwelt mitunter brüsk auszuschließen vermag, kann derselben in seinem besserkennerischen Schützengrabenspirit durchaus höllisch auf die Nerven gehen.)

In diesem »imperialistischen« Sinne liebäugelt das freundschaftliche Expansionsbestreben stets mit der dritten Dimension; aus der Fläche wendet sich beider Blick natürlicherweise nach oben. Die Freundschaft wird »platonisch«, nicht etwa durch triviale Subtraktion des Sinnlichen, sondern durch Addition des Ideellen. Gerade in ihrer Erfüllung hält Freundschaft sich bedürftig, hält Ausschau nach Unverstandenem, erfreut sich irregulärer Einzigartigkeiten, späht in unentdecktes Land. In der Übereinkunft vor den hohen Sachen – der Religion, der Philosophie, den Schönen Künsten – sehen Freunde ihre höchsten Hoffnungen genährt, doch nie gesättigt. Anders als die Liebe, unbestreitbar Himmelsmacht, ist die Freundschaft eine Weltmacht. Anders als Ehen, werden Freundschaften auf Erden geschlossen, den Himmel zu erstürmen. – »Denn schön ist der Preis und die Hoffnung groß.«

Für Heinrich Leitner zum Soundsovielten

© 2022 Christoph D. Hoffmann
Bildnachweise
Sonnenuntergang (Brüder): Wikimedia | Dreiecksnetz: Wikimedia

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