Chrissie’s Auditions

François Boucher: Allegorie de la musique (1764) – National Gallery of Art, Washington, D. C.
François Boucher: Allegorie de la musique (1764) – National Gallery of Art, Washington, D. C. ⎜ 🔍
»Mir fehlt etwas, wenn ich keine Musik höre, und wenn ich Musik höre, fehlt mir erst recht etwas. Dies ist das Beste, was ich über Musik zu sagen weiß.«
(Robert Walser)

Vom Hören sagen …

… oder den Seelenwind einfangen? Im Ephemeren des Klangs das Ewige des Anklangs zu vermuten, in diesem Nichts zwischen den Noten das Bleibende zu suchen, hat zu ebenso fruchtbaren wie erbaulichen Kategorienfehlern angeregt, deren Berichtigung nicht ohne Verluste zu haben wäre. Ob es sich um diese zehn Songs handelt, aus denen unsere Seele bestehen soll, oder die heikle platonische »Hypothese der Seelenharmonie« [Phaidon 85e–86d], das sprichwörtlich Flüchtige in einen solideren Aggregatzustand zu überführen, um es sprachlich schnittfest zu bekommen, ist, wie die Quadratur des Kreises, nicht frei von begrifflichen Problemen.

Doch lebt sich’s frei und ungezwungen im Inkommensurablen. »Schall und Rauch« werden zu Sound und Weihrauch, wenn man die Verständigung darüber sucht. Die Freundschaft mit HL steht weit im vierten Jahrzehnt. Genauso lang tauschen wir Notizen zur Musik. Wir melden Gesprächsbedarf an, echauffieren und enthusiasmieren uns, wir gehen aus uns heraus. Entlastet von jeder Beziehungsarbeit geben wir uns herzlich zu erkennen. Psychologiefrei und meist sogar frei von Peinlichkeit. Talk about (pop) music. Der ungenierte Ausweg aus dem solipsistischen Gehäus’. – Männer reden nicht von Gefühlen, sie sprechen über Musik!

Song des Tages

PJ Harvey: To Bring You My Love
Album: To Bring You My Love (1995)

Was für eine schöne Wasserleiche. Nachdem sie mit den beiden rauhen und sperrigen Vorgängeralben einen glaubwürdig erbitterten Metoo-Spirit avant la lettre in eine feindselige Männerwelt gepflanzt hatte, tauchte hier überraschend eine romantisch verklärte Ophelia wieder auf. Lyrische Klagelieder von exquisiter Décadence statt fauchender Hassgesänge, die einem den Sinn des Tiefschutzes nahelegten. Gingen letztere durch Mark und Bein, folgte dem Schrecken hier die Neigung zu ihrer wohl besten Platte.


Somnambules

Claude Debussy um 1908 von Nadar

Schlafwandler mit großen Erwartungen waren die Zielgruppe impressionistischer Musik. Dass sie sich nur allzu bald in den Schützengräben wieder finden würden, war mit verbundenen Augen nicht zu vorauszusehen, doch eine Ahnung war zu hören. – Es kam etwas auf sie zu.

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Kunst im Purgatorium

Antonio Vivaldi

Vivaldis »Vier Jahreszeiten« sind zum Trivial Pursuit schwerhöriger Konsumenten leichter Schonkost verkommen. Mit »Vivaldi Recomposed« löst Max Richter unser Ohrenschmalz und saniert einen großen alten Meister.

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