Songs des Tages | Seite 3

Gitarrenseiten - Song des Tages

Riccardo Cocciante: Celeste Nostalgia
Album: Cocciante (1982)

Was suchen wir im Land, wo die Zitronen blüh’n? Die Süße im Sauren, das lustvolle Schwelgen in wohliger Wehmut. Was müssen wir hören, wenn wir bei offenem Verdeck die Autostrada del sole gen Süden cruisen? Eben diesen Song mit seiner äußerst erhellender Selbstreferenz. Denn was zeichnet die perfekte Italoschnulze aus? Genau, la celeste nostalgia!

Locas In Love: Saurus
Album: Saurus (2007)

Ach ja, die Saurier wer’n immer trauriger. Der idealistisch beseelte Revoluzzer ficht für die Sache, die es wert sei, sich für sie ins Feuer zu werfen. »Die Sache«, oh, welch hehrer Platzhalter für das »neue Leben« auf der anderen Seite. Doch gar so ironisch ist es nicht gemeint. Hier erklingt die ernste Trauer um das Aussterben einer ehrbar verlebten Gattung.

The Fuzztones: Strychnine
Album: Lysergic Emanations (1986)

»Was du auch machst, mach es nicht selbst … ausgenommen Selbstauslöschung«, heißt es bei Toco. Doch die meisten Songs über beliebte Exit-Strategien tönen in Moll und zerfließen in bittere Tränen. Erfrischend unlarmoyant checken wir aus with the taste of straight strychnine und an Stelle eines weinerlichen oh weh, verabschieden wir uns mit beherztem yeah.

Jacques Brel: Quand on n’a que l’amour
Album: Quand on n’a que l’amour (1957)

Der Existenzialismus lebt fort in der Fülle seiner Clichés, den unsäglichen schwarzen Rollkrägen und filterlosen Zigaretten, dem abgebrühten Blabla einer altklugen lost generation. Vor allem aber in der Schamlosigkeit gefühliger Selbstentblößung, die sich nur einer erlauben darf. Was ist man, wenn man nichts als die Liebe hat? Brel, wer sonst?

PJ Harvey: To Bring You My Love
Album: To Bring You My Love (1995)

Was für eine schöne Wasserleiche. Nachdem sie mit den beiden rauhen und sperrigen Vorgängeralben einen glaubwürdig erbitterten Metoo-Spirit avant la lettre in eine feindselige Männerwelt gepflanzt hatte, tauchte hier überraschend eine romantisch verklärte Ophelia wieder auf. Lyrische Klagelieder von exquisiter Décadence statt fauchender Hassgesänge, die einem den Sinn des Tiefschutzes nahelegten. Gingen letztere durch Mark und Bein, folgte dem Schrecken hier die Neigung zu ihrer wohl besten Platte.

Mirella Freni: Chi il bel sogno di Doretta?
Giacomo Puccini: La Rondine, erster Akt (1968)

An strahlenden Puccini-Tenören fehlte es nie, doch die idealtypische Puccinella assoluta wurde nie übertönt. Allüberall wurden Wärme und Fülle ihres reifen Honigtimbres gerühmt. Aber ob hier nicht ein Textbaustein recht behalten wollte. Reife? Nie in ihrem Leben! Die Freni war das ewige Mädchen, das, zwischen angefochtener Unschuld und naiver Leidenschaft balancierend, über’s Hochseil schwebte. Wer wissen möchte, was mit »À l’ombre des jeunes filles en fleurs« gemeint sein könnte, muss nur hinhören.

The Clash: Rock the Casbah
Album: Combat Rock (1982)

Aus heutiger Sicht mit gewisser Vorsicht zu genießen. Allzu naheliegend wäre mal wieder einer dieser völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe gegen arabische Altstädte, auf die sich die Neue Welt so viel zu Gute hält. Doch politisch unkorrekt ist der Song natürlich schon, universalistisch sozusagen und von einem rotzigen Hegemonismus, den sich die Rockmusik schon lange nicht mehr leisten darf. Auf »Scheichs« schimpfen und ihre Musikscharia verspotten? Naja, tiefer als nach dem Öl im Wüstensand wurde hier sicher nicht geschürft, aber der sorglose Drive im clash of cultures hat einen unzeitgemäß robusten Charme.

Maxime Le Forestier: Fontenay Aux Roses
Album: Maxime Le Forestier (1972)

Hochproblematisch, nach gegenwärtigen Maßstäben, ist auch dieser Chanson. Ein Mann mit hochgeschlagenem Mantelkragen und tief in die Stirn gezogenem Schlapphut geiert Schulmädchen in Uniform hinterher, die, abends aus ihrem Internat (Fontenay-aux-Roses, dem »Rosenbrunnen«) kommend, in einen aussichtsreichen Feierabend ausschwärmen. Durchaus ein bisschen voyeuristisch lässt er seiner schwärmerischen Phantasie freien Lauf und macht den geneigten Hörer zum hingerissenen Komplizen. Wer könnte da wohl widerstehen? Ich nicht! C’est la première fois, que je suis amoureux, de tout un pensionnat…

Kiri Te Kanawa: Malven
Richard Strauss: TrV 297 Postum, Uraufführung 1985

Vierzig Jahre musste der Schwanengesang in einem Tresor versteckt auf seine Uraufführung warten, die dem Werk des Meisters eine bestürzende Wendung anhängte. Jagte die spätromantische Pracht des 19. Jahrhunderts den Vier (vor)letzten Liedern (s.u.) noch einmal die letzte Süße in den schweren Wein, »ragen im Garten [nun] Malven empor, duftlos und ohne des Purpurs Glut, wie ein verweintes, blasses Gesicht unter dem gold’nen himmlischen Licht.« Das Aushauchen in die letzten Züge einer abgewelkten Moderne hinein; schöner kann das Schöne nicht kapitulieren »und dann verwehen leise, leise im Wind, zärtliche Blüten, Sommersgesind …«

Léo Ferré: Avec le temps
Single 1971, Album CD: Amour Anarchie (1989)

Bereits zu meiner Zeit schon Schulpoesie und frankophone Hochkultur. Was ihn so liebenswert altmodisch macht? Die Bourgeosie wusste einst manch giftige Natter an ihrem Busen zu nähren. Doch verstanden die es, vergleichsweise unkorrumpierbar vor sich hin zu zischeln. Drohend, doch kaum bedrohlich, hat sich der struppige Salonanarchist par exellence zum kulturellen Kapital einer großbürgerlichen Lebensart gemacht, die man am präzisesten mit je ne sais quoi beschreiben kann. Wie die Filme von Sautet sind die Lieder von Ferré zu jenen choses de la vie geworden, von denen uns der Rhein und eine trostlos egalitäre Gesellschaft trennt.

© 2023 Christoph D. Hoffmann
Bildnachweise
Gitarrensaiten: Pixabay

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