Wehret dem Unsinn

Giovanni di Paolo: Die Lehrer der Weisheit im Paradies (Illustration 1442–1450 zu Dantes »Divina Commedia, Paradiso, Canto X«)
Giovanni di Paolo: Die Lehrer der Weisheit im Paradies – Illustration zur »Divina Commedia« – Thomas empfängt Dante und Beatrice ⎜ 🔍

Wissenschaft als Kommensuration

  • Ad primae partis quaestionem I

  • De sacra doctrina, qualis sit, et ad quae se extendat. – Über die Heilige Lehre, wie sie beschaffen ist und worauf sie sich erstreckt.

Dass man sich mal nicht verstolpert, wenn man vor dem ersten Schritt bereits den zweiten im Sinn hat. Gleich in der nächsten Woche steht uns mit den »Fünf Wegen« der vielleicht härteste und dickste Brocken der gesamten Prima ins Haus. Echter Hardcore, noch bevor das zweite Lichtlein brennt. Sich also erst mal locker machen, entspannen, einstimmen auf die anspruchsvolle Zeit die vor uns liegt. Was könnte einladender sein, als diese housewarming Quaestio 1? – So unverkrampft und zügig, in fast schon ungeduldiger Vorfreude in die Puschen kommen wollen, das ist doch der Sound der ersten Frage?! – So frei vom skrupulösen Mief anfangsverhindernder Methodenreflexion, die sich mit skeptischer Geltungskritik bereits dem allerersten Vermutungsversuch in den Weg stellen will.

Frisch, fromm, fröhlich, frei zur Sache, zur one and only Hauptsache kommen, das scheint der belebende Ton des Aufmachers zur Summa nahezulegen. Nochmal kräftig durchlüften, Schreibtisch aufräumen, Gänsekiel nachschneiden, Fingerknöchel knacken lassen. – Eins, zwei, drei …, Thomas zählt bis zehn, und dann geht’s richtig los, nächste Woche, zum zweiten Advent, wenn – Achtung Spoileralarm! – Seine Existenz klar gemacht wird.

Und dann habe ich mich doch gleich zu Beginn an einer Stelle verhakt, die den Ernst des Lebens unverhofft um eine Woche vorverlegt hat: Artikel 1 und Artikel 2 ff. reiben sich aneinander, und ich bildete mir ein, ein Knarzen gehört zu haben.

In vermeintlich lockerer Folge und ohne offensichtlich zwingenden systematischen Zusammenhalt scheinen Art. 2 bis 10 einige methodologische Festlegungen bezüglich der Wissenschaftlichkeit jener, in Art. 1 neutral, »unqualifiziert« und wissenschaftsfrei eingeführten Lehre, Doktrin, doctrina zu treffen.

Der hypochondrische Beipackzettelleser in mir fragt nach Neben-, Rück- und Wechselwirkungen beim wissenschaftlichen Einsatz und Betrieb dieser, von Thomas »heilig« genannten Lehre.

Wissenschaft, bottom-up

»Wissenschaftlichkeit« ist ein universell einsetzbares Overall-Gütesiegel. – Sicherheit, Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit. – Die Schlangenölverkaufer unserer Zeit auf den Shopping-Kanälen dieser Welt wissen Bescheid, doch hängen sie nicht an die große Glocke, dass Wissenschaft (Begründung im Allgemeinen) Glaubwürdigkeit lediglich überträgt, doch keineswegs herstellt. Die Wahrheit, um die es in ihr gehen soll, wird »vererbt«, weitergereicht, transportiert, verteilt, niemals jedoch generiert.

Wahrheiten werden gesucht, bisweilen gefunden, nicht selten erfunden. Wissenschaften organisieren Vertrieb und Verteilung dieser, ihr zugetragenen, Güter; Logistik und Distribution von Argumenten und Wahrheitspaketen versorgen unser Amazonien.

Die Neuzeit hat hier ein dynamisch ausgreifendes Urbanisierungsprojekt vor Augen, das bislang brach liegende Gebiete urbar macht. Wissenschaftliche Erschließung (»Kolonialisierung«, wenn man es kritisch mag) verspricht Kontrolle, Vorhersehbarkeit, Handlungssicherheit. In unbestimmte und unberechenbare Verhältnisse dringen Klarheit, Ordnung, zuverlässige Prognostik und planvolles Handeln vor. Die moderne Wissenschaft versteht sich sozusagen als »horizontales Gewerbe«, das, in die Fläche wirkend, ihren Einflussbereich erweitert und sich wachsende Territorien aneignet.

Thomas mag hingegen eher ein vertikales, an wachsender Himmelsnähe orientiertes Wissenschaftsbild, womöglich gar die Statik und subtile Raffinesse der gotischen Kathedralen seiner Zeit, auf dem Schirm gehabt haben.

Ulmer Münster - Innenansicht der Turmspitze

Stützen und gestützt werden – Turmspitze des Ulmer Münsters

Fest gegründet auf ein Fundament erster Sätze, erhebt sich, einem intelligenten Bauplan folgend, gesichert durch syllogistische Schlussketten, ein Gebäude, in dem ein jeder einzelne Stein, in jedweder Baugruppe, stützend und gestützt zugleich, den ihm eigenen spezifischen Zweck erfüllt. Aus nichtssagender Vereinzelung rückt er mit seinen Nachbarn zusammen, bildet mit ihnen Aussagen und Urteile, ordnet sich seinen minores über und unterstellt sich seinen maiores, um mit ihnen ein sinnvolles gemeinschaftliches »Tragwerk« zu verrichten.

Die vornehmsten Aufgaben eines solchen arbeitsteiligen Großprojekts sind dem »ganz unten« und »ganz oben«, sozusagen den Endstücken dieses Lehrgebäudes (nichts anderes besagt »Kathedrale«) gewidmet.

Die Grundsteine haben prinzipielle Bedeutung, leiten sie doch die gesamte auf ihnen ruhende Last in den Untergrund ab. Diese Prinzipien, die ersten (oder »fürstlichen«) Sätze der Ersten Philosophie oder Metaphysik haben freilich nichts ominöses, geheimwissenschaftliches, Dan-Brown-haftes an sich. Im Gegenteil, sie formulieren das Selbstverständliche schlechthin, das sich freilich meist im toten Winkel unserer alltäglichen Betriebsamkeit verbirgt.

»Das Ganze ist größer als jedes seiner Teile.« – »Ein Satz kann nicht zugleich wahr und falsch sein.« – »Ununterscheidbares ist identisch.« wären Kandidaten für solche unbeweisbar einfachen Sätze, »die einer Begründung weder fähig, noch bedürftig sind«. Als Fundament eines Wissensgebäudes sind sie deshalb so gut geeignet, weil sie sich so nahe ans Nichtssagende herangetastet haben, dass ein Dissens über sie sinnvollerweise nicht mehr möglich ist. (Die Scheinproblematiker der analytischen Philosophie sehen freilich gerade hier ihr zweckfreies Sudokistan.)

»Dissensableitung«, das Zweifelhafte weniger zweifelhaft, das Unglaubwürdige glaubwürdiger machen, das ist die Aufgabe von Wissenschaft, Begründung, Argumentation. Wie edel, vornehm und natürlich auch ständisch elitär sich Thomas das vorgestellt haben muss, zeigt sich, wenn wir von den ersten, untersten, Near-to-nothing-Grundsätzen, hinauf auf die Turmspitze blicken. Über die höchsten Dinge begründet und grundlegend zugleich zu reden, etwas Besseres, Höheres, Edleres kann es nicht geben! – (Der privilegierte Grafensohn wollte nicht einfach nur Mönch, er musste Bettelmönch werden. Einfach nur hoch hinaus zu wollen, hätte ihm ein viel zu flaches Gefälle vorgelegt. Sich in äußerster humilitas dem höchsten aller nur denkbaren Gegenstände der Wissenschaft widmen zu  können, das musste ihm den entscheidenden Kick gegeben haben.)

Thomas übernimmt gerne und dankbar das aristotelische Theologieverständnis, nach dem die Metaphysik als »Wissenschaft vom Göttlichen, von den göttlichen Dingen« zu verstehen sei, doch hatte sich zwischen dem Philosophen, wie Thomas Aristoteles nennt, und ihm selbst etwas ereignet, das dieses ganze antike Metaphysikprojekt unverhofft konkretisiert hat. Mit der Geburt des Herrn ist die abstrakteste aller Wissenschaften zu einer äußerst persönlichen Angelegenheit geworden!

Mag also die Turmspitze unserer Kathedrale bis in schwindelnde Höhen reichen, Thomas wird in dieser unglaublichen Leistung keine Gipfelstürmerei, keine frivole Wolkenkratzerei gesehen haben, sondern ein, hoffentlich stabiles, Stativ für das Turmkreuz, das alle ursprüngliche Absicht überragt.

Desiderium naturale

Nicht etwa zum Zwecke, oder im Interesse der Wissenschaften, sondern »um des menschlichen Heils willen, ist es notwendig gewesen, dass es irgendeine, der göttlichen Offenbarung folgende, Lehre gebe, die über jene philosophischen Schulfächer hinausreicht, die mittels menschlicher Vernunft betrieben werden.«

»Respondeo dicendum quod necessarium fuit ad humanam salutem, esse doctrinam quandam secundum revelationem divinam, praeter philosophicas disciplinas, quae ratione humana investigantur …« (ST I, q. 1, a. 1 co. <=> Prima pars, quaestio 1, articulus 1, corpus articuli)

Ungewöhnlich unterminologisch läßt Thomas das Corpus des ersten Artikels beginnen. Wir brauchen »eine gewisse, irgendeine Lehre (quandam doctrinam)«, die göttliche Offenbarung zum Inhalt hat. – (Von scientia ist im gesamten ersten Artikel kein einziges Mal die Rede!) – Diese, noch unbestimmte, Lehre sollte es geben, »weil der Mensch auf Gott, gewissermaßen wie auf ein Ziel, das die Verständniskraft der Vernunft übersteigt, hingeordnet wird.«

»… quia homo ordinatur ad Deum sicut ad quendam finem qui comprehensionem rationis excedit,…«(loc. cit.)

Thomas bleibt vage, wird sogar noch unbestimmter: »Gewissermassen wie auf irgendein Ziel – sicut ad quendam finem«.

»Jenes Ziel aber hat den Menschen vor (dessen Erreichen) bekannt zu sein, die ja ihre Absichten und Handlungen auf dieses Ziel hinordnen müssen. Deshalb ist es, dem Menschen zum Heil, notwendig gewesen, dass ihnen (den Menschen) durch göttliche Offenbarung gewisse Inhalte bekannt (gemacht) würden, die die menschliche Vernunft übersteigen.«

»Finem autem oportet esse praecognitum hominibus, qui suas intentiones et actiones debent ordinare in finem. Unde necessarium fuit homini ad salutem, quod ei nota fierent quaedam per revelationem divinam, quae rationem humanam excedunt.« (loc. cit.)

Sein Unterscheidungsskalpell lässt Thomas erst in den folgenden Artikeln blitzen, hier jedoch scheint er geradezu übervorsichtig um definitorische Zurückhaltung bemüht. So neutral wie nur möglich (nicht einmal von einer doctrina ist in diesem Lehrsatz die Rede) umreißt er eine »Black-Box«, in der sich »ein gewisses Etwas – quaedam« befindet, das besagter menschlicher Ausrichtung (seiner »Ordination«, wenn man so will) heilsam entgegen kommt, und dessen Fehlen den Menschen in heillose Traurigkeit, wenn nicht Verzweiflung stürzen würde. Jenes Ziel, dieser Fluchtpunkt, auf den wir unserer Natur gemäß hingeordnet sind, macht sich durch ein desiderium naturale erfahrbar.

Würde ein solches naturhaft in uns angelegtes Sehnen und Verlangen nicht nur hier und da, sozusagen unglücklicherweise, sondern grundsätzlich ins Leere zielen, wäre dies eine unerschöpliche Quelle »existenziellen Ungenügens«. Müssten wir uns mit einem solchen »wesentlichen Defekt« abfinden, geriete mindestens eines der drei obersten göttlichen »All-« Prädikate unter Verdacht.

Entweder hätte Gott sein Lieblingsgeschöpf und Meisterstück gewissermassen vom Reißbrett weg fehlerhaft entworfen, was seiner Allwissenheit widerspräche. Oder aber, er hätte am sechsten Tage geschlampt, und die Umsetzung seiner Idee versiebt, was nicht mit seiner Allmacht zusammenginge. Am bedrohlichsten jedoch die Vorstellung, Gott wäre alles andere als ein lieber Gott, sondern vielmehr ein böser Geist, ein genius malignus, wie er Descartes’ gruseligem Gedankenexperiment aus dessen Erster Meditation entstiegen sein könnte. Mit dem höchsten der göttlichen Prädikate, seiner Allgüte wäre es natürlich nicht vereinbar, wenn wir Gott den grausamen Vorsatz zutrauen würden, ein wesentlich zerrissenes Wesen zu konzipieren, zu erschaffen und schließlich sich selbst und seiner Zwiespältigkeit zu überlassen.

Drei Dissonanzen, ein Akkord

Mit einem insulinpflichtigen Herz-Jesu-Pathos, demgegenüber man aufgeschlossen sein sollte, beklagt Morrissey solch ein fehlgehendes desiderium naturale, ein grundsätzlich »verpeiltes Lebensgefühl«. Doch zerfließt der Song keineswegs (nur) in heulsusigem Selbstmitleid; das »Smithonian Institute« führt eine gezielte und bittere Anklage gegen den angenommenen Verursacher menschlicher Desorientierung:

»I have forgiven Jesus
For all the desire
he placed in me
when there’s nothing I can do with this desir
e …«

Aber auch ein deutlich kühlerer Preuße weiß um dieses beunruhigende Phänomen und lässt sich zu ungewöhnlicher Emphase bewegen. So lautet der erste Satz der Kritik der reinen Vernunft:

»Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.« (KrV, Vorrede zur 1. Aufl., A VII)

Ein wehmütiger Fatalismus scheint aus diesen Zeilen zu klingen. Ganz anders der hl. Augustinus, der die vielleicht schönste und poetischste Umschreibung dieser »Leerstelle« in unserer Natur gefunden hat:

»Du regst uns zur Freude an, Dich zu loben, denn auf Dich hin hast Du uns geschaffen und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir.«

»Tu excitas ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.« (Conf. I,1)

Er preist in diesem desiderium eine naturale, geschöpflich in uns angelegte Offenheit und Aufgeschlossenheit unserem Schöpfer gegenüber. Er versteht dieses unabweisbare Verlangen also von der vorweggenommenen Erfüllung her, und, anders als Kant, nicht als schicksalhaften Zwiespalt, mit dem es sich, straff und unsentimental, abzufinden gilt.

Das Bessere als Feind des Guten

Ja, ja, schon klar, alles Gute kommt von oben … – Nein, nein, so gefällig und trivial ist es nicht gemeint. Kein Überfluss (– allenfalls die Verheißung davon), kein Schlaraffenland, keine überfürsorgliche Zwangsernährung, keine Bevormundung, keine »Übervaterung« und schon gar kein Bestechungsversuch durch großzügige Korrumpierung unseres Eigensinns.

Nur das Nötigste, das unverzichtbare Survival-Kit kommt von oben.

Revelatio requisitum est!

Genau an dieser Stelle kommt eine gewisse Irritation ins reibungslose Getriebe der gotischen Bauhütte. Göttliche Offenbarungen haben mit den Grundsteinen, Grundsätzen, Prinzipien gemein, »einer Begründung weder fähig noch bedürftig« zu sein, denn sie kommen ja aus der vertrauenwürdigsten aller Quellen!

Die schwächste aller Beweisfiguren im weltlichen Wissenschaftsbetrieb, der Autoritätsbeweis vom Hörensagen, schlägt mit einem Streich den schneidigsten Syllogismus, denn dem Hörenden wird ja schließlich vom Höchsten gesagt. Die, sich auf göttliche Offenbarung berufenden, Autoritätsbeweise seien also »efficacissimus«. (ST I, q. 1, a. 8 ad 2)

Doch wie sieht es mit deren unproblematischer Selbstverständlichkeit, ihrer dissens- und zweifelsfreien Inhaltsleere, der voraussetzungsfreien und vorbehaltlosen Glaubwürdigkeit dieser, doch lediglich überlieferten, Offenbarungsinhalte aus?

Feindesliebe, Auferstehung, Gnade vor Gerechtigkeit, ewiges Leben, die Jakobsleiter ins Schräge, Paradoxe, Absurde, durch und durch Durchgeknallte kennt kein Ende, führt Sprosse um Sprosse in zunehmend dunkleres Dunkelblau eines womöglich vollkommen leeren Himmels hinauf.

Wenn überhaupt irgend etwas begründungsbedürftig wäre, dann wohl doch die göttlich offenbarten Inhalte jener sacra doctrina, dieser gesuchten Wissenschaft einer »Offenbarungskunde«, die die aristotelische, rationale, »Natürliche Theologie« als kleines und weitgehend harmloses Teilgebiet vollständig umfasst.

Andererseits muss sich der tapfere und wohlmeinende Versuch wissenschaftlicher Apologetik des Risikos bewusst sein, nicht nur aus sich selbst, sondern auch aus Ihm den Affen zu machen, sollte sie eine »Tieferlegung der Fundamente« in Angriff nehmen:

Wie in Nebukadnezars gedeutetem Traum (Daniel 2), einen Koloss auf tönerne Füße stellen? — Den Alpenhauptkamm untergraben, um ihm nachträglich ein Fundament aus Bimsstein zu verpassen? – Ein Fabergé-Ei mit dem Vorschlaghammer nachschmieden wollen? – Bei Bruce Lee oder Mike Tyson als Bodyguard anheuern?

Nicht zu vergessen, eine heikle Charakterfrage, die Thomas unabhängig von der Stichhaltigkeit wissenschaftlicher Argumente eher beiläufig aufwirft. Die sicherheitsbewusste Verteidigung der Glaubensinhalte könnte doch gerade im Erfolgsfalle, der, eigentlich auf Kühnheit angelegten Glaubenshaltung (»to boldly go, where no man has gone before«) einen Bärendienst erweisen, indem sie sie in die kleinmütige Vollkaskomentalität des Mainstream herunterzuziehen versucht.

»Dennoch nutzt die Heilige Lehre durchaus auch die menschliche Vernunft, nicht jedoch um den Glauben durch Erprobung abzusichern (Die deutsche Thomas-Ausgabe (DThA) übersetzt mit ›um den Glauben zu beweisen‹; die britischen Dominikaner mit ›to prove faith‹), denn das würde ja dem Glauben das Verdienstvolle abziehen, sondern um etwas (ganz) anderes über die, in dieser Lehre überlieferten Inhalte aufzuzeigen.«

»Utitur tamen sacra doctrina etiam ratione humana, non quidem ad probandum fidem, quia per hoc tolleretur meritum fidei; sed ad manifestandum aliqua alia quae traduntur in hac doctrina.« (ST I, q. 1, a. 8, ad 2)

Wissenschaft, top-down

Müsste nicht, so verstanden, all die konstruktivistische Expertise der Bottom-up-Wissenschaft (im Wortsinne :-)) für den Arsch sein, oder, schlimmer noch, einen slippery slope darstellen, für den Rutsch ins Triviale, Gefällige, Kirchentagshafte. Hinab in eine obszöne Wellness-Theologie, die das Evangelium nach Walt Disney auslegt?

Weder begründet eine sacra doctrina »Die Offenbarung« (im universalen Singular), noch rekonstruiert sie einzelne Offenbarungsinhalte (im spezialisierten Plural). Menschliche Vernunft gewährleistet hier keine lückenlose Glaubwürdigkeitübertragung – es führt keine bündige Schlusskette hinauf ins Himmelsreich, und, nein, schon gar nicht wird das wissenschaftliche Methodenideal, alles Sagen auf möglichst Nichtssagendes zu stützen, hier greifen können.

Der Glaube ist halt nix für Bausparer. Auch der wasserdichteste, kugelsicherste, und doppelt rückversicherte Beweis dafür, dass Gott existiert, wäre kaum der Bruchteil einer Lebensmiete.  Was dieses Etwas, das da existiert, ist, tut und insbesondere mit uns macht, das lässt sich nicht versichern. Etwas für wahr zu halten, für das es keine objektiv zureichende Begründung, keine natürwüchsige Bodenhaftung gibt, bleibt unversicherbar riskant und bedarf einer nicht unerheblichen Coolness. Aus dieser Nummer kommt kein Gläubiger raus, diesen Stunt muss jeder für sich alleine durchziehen. Doch wäre es fatal, wollte man daraus eine beliebige Privatisierbarkeit der geglaubten Offenbarung folgern.

Sola scriptura kann hier nicht genügen, denn rasch wird aus der Lektüre einer Offenbarung, in Gestalt dunkler, in höchstem Maße interpretationsbedürftiger Textfragmente, ein babylonisches Stimmengewirr, in dem ein jeder seine eigene private Glaubenssprache pflegt. Verbindliche Instanz, unsere vereinzelten Auffassungen darüber, was die eine Offenbarung des einen Gottes uns allen allgemeinverbindlich ansinnen will, miteinander ins (mitunter kontroverse) Gespräch zu bringen, kann nur die Vernunft sein, denn sie allein setzt nicht voraus, was es doch allererst zu klären gilt. Insbesondere können und dürfen weder eine heilsnotwendige übervernünftige Offenbarung, noch ein heilbringender Glaube an Übervernünftiges der Vernunft widersprechen. Etwas Widervernünftiges zu glauben, ist unzumutbar! – Wir werden aus rationalen Gründen ersehen, warum dies so sein muss und warum ein vertretbarer Glaube dem Unvernünftigen unbedingt Paroli zu bieten hat. Die sacra doctrina hat die Aufgabe, göttliche Offenbarung einem vernünftigen Glauben kommensurabel zu machen. Sie ist damit dem vernünftigen Umgang mit dem Übervernünftigen gewidmet. Die Wahrheit muss, kann und soll sie gar nicht sichern. Doch dem Unsinn soll, kann und muss sie wehren!

Wie herrlich, dass nicht alles in diesem schwammigen, klebrig überzuckerten Marshmallow-Christentum stecken bleiben muss (ich nenne keine Namen, nicht mal Doppelnamen). Stattdessen liegt, knusprig, frisch und duftend, ein nahrhaftes Brot für die Welt vor uns auf dem Gabentisch, und wir haben´s gerade mal angeknabbert. Thomas is so alive and kicking, und schubst uns Simple Minds in einen ganz besonderen Advent!

© 2020 Christoph D. Hoffmann
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