(In) Gottes Namen
Ad primae partis quaestionem XIII
De nominibus Dei. – Über die Namen Gottes.
Quaestio 13 fragt nach der angemessenen Rede von, über und zu Gott. Unter der Überschrift »De nominibus Dei« könnte man an »giving names to someone« denken, eine unangemessene »Bespitznamung« Gottes also. Doch geht es hier gar nicht vordergründig um Pietätssicherung und die Verteidigung des zweiten Gebotes. Vielmehr gilt es, aus den erkenntniskritischen Vorgaben der Vorgängerquaestio 12 die methodischen Konsequenzen zu ziehen, und sich über eine, der Reichweite unseres Erkenntnisvermögens angemessene Rede von, über und zu Gott zu verständigen:
»Nach der Betrachtung dessen, was zur göttlichen Erkenntnis (i. e. unserer Erkenntnis Gottes, bzw. des Göttlichen) gehört, ist mit der Untersuchung der göttlichen Namen fortzufahren; ein jeder (Gegenstand) wird nämlich von uns gemäß der Art und Weise benannt, in der wir ihn erkennen.«
»Consideratis his quae ad divinam cognitionem pertinent, procedendum est ad considerationem divinorum nominum, unumquodque enim nominatur a nobis, secundum quod ipsum cognoscimus.« (ST I, q. 13 pr.)
Unter diesem hochgenerellen Prinzip, dass die Semantik der Erkenntnis(weise) folge, zusammen mit den Vorgaben der zwölften Frage, müsste eine äußerst knappe und bündige Quaestio zu erwarten sein. Der erste Artikel unter der Grundsatzfrage »Utrum aliquod nomen Deo conveniat«, ob also (überhaupt) irgendein Name mit Gott übereinkommt, wäre zugleich auch der letzte Artikel und denkbar rasch abgehandelt.
Nach Stand der Dinge dürfte überhaupt kein Name Gott »konvenieren«, da uns, wie wir in der zwölften Frage gesehen hatten, in diesem Leben als leibgebundene Sinneswesen weder eine begrifflich-diskursive Wesenserkenntnis, noch eine direkte, unmittelbare, intuitive Wesensschau Gottes möglich ist. Erst das ewige Leben der Seligen (beati) kann die beseligende Wesensschau Gottes, die visio beatifica, gnadenhaft gewähren. Das Erkennen des zusammensetzenden und trennenden Verstandes, der eine Benennung Gottes zu folgen hätte, wäre damit ohnehin obsolet geworden. Auch läge es nahe, ihn dereinst, wenn man ihn denn schon mal von Angesicht zu Angesicht vor sich hat, in höflicher Form persönlich nach der angemessenen und konvenierenden Anrede zu fragen. (Womöglich fiele die Antwort nicht gar so gereizt aus, wie die, die Moses in Ex 3 erhielt: »Ich bin der ›Ich-bin-da‹; ich bin, der ich bin; werde sein, der ich sein werde« – »Ja, ja, schon gut, schon gut, tschuldigung, brenn’ weiter, war ja nur ’ne Frage.«)
Der Rest wäre Schweigen, frommer Mutismus, das Ethos der Scheu und ein, dem Bilderverbot entsprechendes Benennungsverbot. Man spräche über IHN, oder »du weißt schon wen« und ginge in Fragen der Pietät und Ehrerbietung lieber mal auf Nummer sicher: »De Deo nihil nisi convenienter dicitur.«
Tausche Gott gegen Schweigen
Wie leicht freilich vermeintlich tiefsinnige Sprachenthaltung und skrupulöse »Gott«-vermeidung in affektierte Manieriertheit und eitlen Hohlsinn umschlagen können, zeigt Heinrich Bölls Satire »Doktor Murkes gesammeltes Schweigen« in maliziöser Art und Weise (trotz des etwas angestaubten Look & Feel ebenfalls wirklich witzig, die kongeniale Verfilmung mit Dieter Hildebrand in der Titelrolle.)
Dr. Murke ist Hörfunkredakteur der Sendung »Kulturwort« und hat einen Vortrag zum »Wesen der Kunst« des aufgeblasenen Kulturschwätzers Prof. Bur-Malottke zu betreuen. Bur-Malottke, ein nationalsozialistischer Mitläufer und Wendehals, war opportunitätshalber pünktlich zum Kriegsende konvertiert, doch nun, Anfang der Fünfziger, wieder voll etabliert, plagen ihn plötzlich weltanschauliche Bedenken. Er fühlt sich »angeklagt, an der religiösen Überlagerung des Rundfunks mitschuldig zu sein« und ist wild entschlossen, das 27-malige Vorkommen des Wortes »Gott« in seinem Vortrag zu streichen und »durch eine Formulierung zu ersetzen, die mehr der Mentalität entsprach, zu der er sich vor 1945 bekannt hatte«:
Jenes höhere Wesen, das wir verehren.
Blöd nur, dass jene raunende Wendung, die wir belächeln, im Gegensatz zu »Gott«, außer dem Genitiv auch noch andere Kasus kennt. Da Bur -Malottke sich weigert, seinen gesamten Beitrag neu aufzunehmen, wird er von Dr. Murke beim Einsprechen der Gottesersatzfloskeln gehörig getriezt.
Heinrich Bölls Kurzgeschichte wurde als beißende Mediensatire verstanden, die die manierierten Verrenkungen und den hoch- und hohltönenden Kulturjargon der öffentlich-rechtlichen Nacherziehungsanstalten aufs Korn nahm. Doch wäre Böll nicht der rheinische Linkskatholik, der er nun mal war, wenn die Geschichte nicht eine Wendung zu einer milden, um nicht zu sagen herzergreifenden Pointe nähme.
Der leidgeprüfte Dr. Murke sammelt, gewissermaßen als heilsamen Ausgleich zum »Kulturwort«, Pausenschnipsel, die beim Schneiden der Tonbänder als Abfall übrigbleiben (vgl. den Titel), und macht mit einem Kollegen von der Technik einen lukrativen Deal.
Ein experimentelles Hörspiel (ich stelle mir ein Beckettsches Ambiente vor) soll ebenfalls umgeschnitten werden. Es scheint den Verantwortlichen zu schweigehaltig:
»(Akustik in einer großen leeren Kirche)
Atheist: (spricht laut und klar)
Wer denkt noch an mich, wenn ich der Würmer Raub geworden bin?
(Schweigen)
Atheist: (um eine Nuance lauter sprechen)
Wer wartet auf mich, wenn ich wieder zu Staub geworden bin?
(Schweigen)
Atheist: (noch lauter)
Und wer denkt noch an mich, wenn ich wieder zu Laub geworden bin?
(Schweigen)
Es waren zwölf solcher Fragen, die der Atheist in die Kirche hineinschrie, und hinter jeder Frage stand: Schweigen.«
Rasch ist’s getauscht, und siehe da, welch wunderbare Fügung. Murke hat im wahrsten Sinn des Wortes seine Ruhe beisammen, und ein respektlos aus dem Zusammenhang geschnittener »Gott« lässt sich nicht abhalten, unverhofften Sinn zu machen. – Böll halt …
A bisserl was geht immer
(Helmut Dietl (1944-2015), charmanter Melanchomiker vor dem Herrn, ist heute gestorben)
Das Schweigen, hilflos oder ehrfürchtig, sollte also nicht unser letztes Wort bleiben. Thomas greift das eingangs erwähnte Benennungsprinzip auf und eröffnet abseits eines semantischen Wesensrigorismus überraschend neue Aussichten:
»Es gilt also, dass insofern (irgend-) etwas von unserem Intellekt erkannt werden kann, es auch von uns (sinnvoll) benannt werden kann. Nun ist aber oben (Q. 12) gezeigt worden, dass Gott von uns in diesem Leben nicht in seinem Wesen geschaut werden kann. Allerdings wird er von uns aus (ausgehend von den Geschöpfen; von den Geschöpfen her) erkannt, gemäß deren Ausrichtung und Hinordnung auf ihr Prinzip und ihren Urspung (secundum habitudinem principii) und auf eine Weise, die ihre ausgezeichnete Vortrefflichkeit herausstreicht (per modum excellentiae …) und jede Unvollkommenheit zurückweist (… et remotionis). So also kann ER von uns von den Geschöpfen her benannt werden, nicht jedoch so, als ob der Name, der ihn bezeichnet, das göttliche Wesen ausdrückte, wie es (tatsächlich und in sich) ist …
Secundum igitur quod aliquid a nobis intellectu cognosci potest, sic a nobis potest nominari. Ostensum est autem supra quod Deus in hac vita non potest a nobis videri per suam essentiam; sed cognoscitur a nobis ex creaturis, secundum habitudinem principii, et per modum excellentiae et remotionis. Sic igitur potest nominari a nobis ex creaturis, non tamen ita quod nomen significans ipsum, exprimat divinam essentiam secundum quod est …« (ST I, q. 13, a. 1 co.)
Eine indirekte, begrifflich-diskursive Erkenntnis Gottes auf dem Umweg über Seine Geschöpfe, im Rückschluss aus den weltlichen Wirkungen auf deren göttlichen Ursache, ist uns also durchaus auch ohne einen »Sinn für’s Wesentliche« möglich. Allerdings ist dieser technisch-philosophische Zugang mit Vorsicht zu genießen, gerät dieser doch auch terminologisch in überraschende Nähe zum bereits angeführten Schriftwort: »Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.« (1. Kor. 13)
»Speculativus, -a, -um« meint in Thomas’ zeitgenössischer Terminologie soviel wie »theoretisch«, im Unterschied zu »praktisch«. Aber auch in einem übertragenen, metaphorischen Sinne ist unser Sprechen von Gott »spekulativ« (speculum = Spiegel) zu verstehen. Nur indirekt, gewissermaßen wie im Spiegel seiner Schöpfung, gibt sich Gott seinen Geschöpfen zu erkennen, insofern diese ihn begrifflich-diskursiv zu erkennen suchen. Wollen wir uns hierbei nicht in allzu wilde Spekulationen versteigen, empfiehlt es sich, Thomas’ Vorsichtsmaßnahmen zu beherzigen.
Semantisches Purgatorium
Eigentümlich kondensiert und verdichtet nimmt sich eine Formulierung aus, die einem als nachgeordneter Nebensatz – fast schon ein marginaler Nachklapp – leicht durch die Lappen gehen könnte: »secundum habitudinem principii, et per modum excellentiae et remotionis (loc. cit.).« Auf die leichte Schulter genommen, könnte sie uns informell nahelegen, unser Sprechen über Gott, zu Seinen Gunsten großzügig »aufzurunden«, zu begradigen, aufzuhübschen und nicht mit Zuckerguss zu sparen – nicht, dass Er’s nötig hätte, aber trotzdem hört’s der Chef halt gerne. Doch handelt es sich hier keineswegs um eine sozial geschmeidige Leerfloskel, sondern um eine systematisch dicht gepackte Lehrformel, die all unsere Rede über Gott, namentlich die Verwendung angemessener Gottesnamen, unter zunächst drei obligatorische Reflexionsinstanzen stellt.
(Unter »Gottesnamen – nomina Dei« versteht Thomas keine »echten« Eigennamen, wie etwa »Christoph Hoffmann«, sondern beschreibende Kennzeichnungsausdrücke (definite descriptions, denotations, uniquely referring phrases/terms), wie etwa »der Summa-lesende Tocofan aus Erlangen, mit der äußerst seltenen, durch Gammastrahlen mutierten Blutgruppe …« die der eindeutigen Benennung von Individuen und Einzelgegenständen dienen und deshalb auch als »logische Eigennamen« bezeichnet werden.)
Secundum habitudinem principii
Was hat ein Terminus der praktischen Philosophie, ein, wenn nicht der, Grundbegriff der aristotelischen Tugendethik ausgerechnet hier, in diesem sprachtheoretischen und (doppeldeutig) spekulativen Kontext zu suchen? »Habitus« meint eine, durch Gewöhnung, Erziehung, Übung erworbene Tendenz sich unter unbestimmten Bedingungen in bestimmter Weise zu verhalten. Tugenden sind, sträflich verkürzt, praktische Tendenzen zum Guten, oder, im Wortsinne, »Ausprägungen« eines, auf das Gute hin orientierten »Charakters«. Tugenden sind, einmal erworben, schwer abzuschüttelnde Grundhaltungen, denen nicht die Schlechtesten fest verhaftet bleiben. Der weltfreundliche und philanthropische Grundzug der aristotelisch-thomistischen Ethik hat nicht zuletzt mit deren Verdacht zu tun, dass auch »gut erzogene Menschen« schlecht aus ihrer Haut können. Diese Verfestigung zu einer »zweiten Natur« kommt in der habitudo, der sicheren »Habe« zum Ausdruck, die einer Lebensform feste Gestalt verleiht.
Es ist der Gesichtspunkt der Tendenz, der Hin-Neigung (inclinatio), der Orientierung, der Ausrichtung auf ein Erstes und Letztes, den Thomas hier, in diesem theoretisch-spekulativen Zusammenhang disziplinübergreifend geltend macht. Unter einer »finalen Perspektive« warnt er eindringlich vor assoziativen Kurzschlüssen ex creaturis. Es gilt, den einen und einzigen »Fluchtpunkt« nicht aus den Augen zu verlieren, wenn, durchaus nett und fromm gemeint, das eine oder andere Kompliment, der eine oder andere Vergleich, eine stets wohlfeile doch mitunter etwas vorschnelle Street-Credibility zu versprechen scheint. Vordergründige Extrapolationen (wie im Kleinem, so im Großen), »Familienähnlichkeiten«, retrograde Verwandtschaftsbeziehungen (wie der Sohn, so der Vater), sind hier nicht nur nicht gemeint, es gilt sie semantisch mit inquisitorischer Strenge zu zensieren. Anstatt den homiletischen Thesaurus zu erschöpfen, geht es Thomas vielmehr darum, das Vordergründige und Nächstliegende möglichst weiträumig zu überspringen. Mag uns das Gute auch noch so nah liegen, das »summum bonum« ist uns (einstweilen noch, »in hac vita«, wie Thomas sagt) in weiter Ferne. Dorthin zu schweifen, sich kuschelig anzunähern, kann uns allenfalls in frömmelndes Geschwafel entführen. Den direkten, den kürzesten Weg, die geometrische Strecke zum Ursprung über alle vorwitzigen Köpfe hinweg anzupeilen, ist Thomas’ unbedingte Direktive. Unser »desiderium naturale«, oder soll man hier nicht lieber sagen, unser rücksichtsloses »desiderium rationale« zielt auf die »Erste(n) Ursache(n) – die prima(e) causa(e) – efficens, formalis, finalis – die, wie wir mittlerweile verschiedentlich gesehen hatten, keine Wegmarken, keine Zwischenstationen, kein Milestones, keine Testversionen sein können, ohne sich selbst ad absurdum, und unser vitales Interesse an vernünftiger Orientierung im Denken in den grundlosen, nicht minder absurden, Regress zu führen. Die direkte, unmittelbare Ausrichtung auf den Ursprung, die alles bestimmenden Determinante, die kürzeste Strecke, die orientierende Peilung aufs Erste haben unsere Gottesnamen zu genügen. Und hoffen wir nicht alle gerade jetzt, in dieser heilige Zeit, dass uns manch kurzgesprungenes Gleichnis beflissener Homileten erspart bleiben möge. Gottes Namen haben aufs Äußerste, auf Alles oder Nichts zu gehen. Sie haben auf das Erste, das Ursprüngliche, das Prinzipielle zu zielen, oder sie verfehlen ihr Bedeutungsziel und gehen auf flacher Bahn im Profanen nieder. – Gottes Namen sind entweder radikal, oder blasphemisch – womöglich schlimmer noch, gründeten sie im Gefälligen, Gemäßigten und Gewöhnlichen.
© 2020 Christoph D. Hoffmann
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