Der Gott ohne Eigenschaften

Thomas von Aquin neben dem hl. Sebastian – Basilika St. Maximin, Departement Var
Thomas von Aquin neben dem hl. Sebastian – Basilika St. Maximin, Departement Var ⎜ 🔍

Deus simplicissimus

  • Ad primae partis quaestionem III

  • De Dei simplicitate. – Über die Einfachheit Gottes.

»I’m an island of such great complexity«, heißt es in Shady Lane (dem vielleicht besten, auf jeden Fall »Gott-haltigsten« Pavement-Song überhaupt), und ich wäre aufs Äußerste beleidigt, wenn mich jemand »einfach« nennen würde. Wo wir uns selbst so viel auf den Facettenreichtum unserer vielschichtigen, widersprüchlichen, doppelbödigen und hintergründigen Persönlichkeit zugute halten, um wie viel mehr sollten wir da nicht Gott als Hort unerschöpflicher Vielfalt und allumfassender Fülle preisen?

Doch von solch individualistischer »Zerstreuung« will Gott definitiv nichts wissen! – Warnt Thomas und formuliert in der dritten Quaestio mit unmissverständlicher Schärfe sieben No-Gos (nebst einer schneidigen Zusammenfassung im siebten Artikel) unserer Rede über Gott.

Nachdem uns Thomas in Quaestio 2 die Annahme von Gottes Existenz aus argumentationstheoretischen Gründen doch sehr nahe gelegt hatte, verwendet er nun das doppelte Textvolumen zum Aufstellen zahlreicher Verbotsschilder, nicht einfach nur hier oder da, sondern dem systematisch-programmatischen Abriss einer »Negativen Theologie« folgend:

»Da wir allerdings von Gott nicht wissen können, was er ist, sondern (nur) was er nicht ist, können wir von Gott (auch) nicht in Betracht ziehen, was er ist, sondern allenfalls, was er nicht ist.«

»Sed quia de Deo scire non possumus quid sit, sed quid non sit, non possumus considerare de Deo quomodo sit, sed potius quomodo non sit.« (ST I, q. 3 pr. (i.e. »prooemium«))

Auf den ersten Blick kommt Thomas’ sprachkritisches »Enttäuschungsprogramm« mit der offensichtlich rhetorisch gemeinten Titelfrage des ersten Artikels, »Ob Gott ein Körper sei – Utrum Deus sit corpus«, durchaus mehrheitsfähig um die Ecke.

Belästigt man, etwa in einer Fußgängerzone, den soziologischen Idealtypus der Einfachheit, den repräsentativen »Einfachen Mann von der Straße«, setzt ihm die Pistole auf die Brust, oder das Messer an die Kehle und fragt ihn, ob er an Gott glaube, wird der sich, nichts Gutes ahnend, erst einmal winden, um dann unter Qualen zuzugeben, dass »es da oben schon irgendwie was geben könne.« Als habe er sich viel zu weit aus dem Fenster gelehnt, und dabei allzu konkret, gegenständlich, ja geradezu handgreiflich geäußert, wird er sich ehrpusselig gegen den Verdacht verwahren, er würde sich Gott als einen »alten Mann mit Bart« vorstellen. Das ginge ja gar nicht, das wäre doch voll der naive Kinderglaube. – Soviel Aufklärung müsse schon sein!

Sich einen vergegenständlichten Gott passend und verfügbar machen zu wollen, ließe es allemal an der gebotenen Zurückhaltung fehlen. Fromme Scheu und allerweltliches Desinteresse liegen hier nahe beieinander. Für Gott, »den ganz Anderen«, habe zumindest das Gleiche (Recht), wie für Haustiere zu gelten: man solle sie keinesfalls vermenschlichen.

Dass Gott kein raumzeitlich-physikalistischer Anthropomorphismus sei, hatte man schon mal gehört, doch spätestens ab Artikel 2 ff. ist es mit der »Einfachheit des Textes« vorbei. Auffällig ist der stereotype Aufbau und Durchgang der Artikel 1 bis 6 und 8. Lediglich der »verdichtende« und einschwörende 7. Artikel (»Ob Gott allumfassend einfach sei. – Utrum Deus sit omnino simplex.«) – fällt aus dem Rahmen. Sein Corpus fasst zusammen:

»Respondeo dicendum quod Deum omnino esse simplicem, multipliciter potest esse manifestum. Primo quidem per supradicta. Cum enim in Deo non sit compositio, neque quantitativarum partium, quia corpus non est; neque compositio formae et materiae, neque in eo sit aliud natura et suppositum; neque aliud essentia et esse, neque in eo sit compositio generis et differentiae; neque subiecti et accidentis, manifestum est quod Deus nullo modo compositus est, sed est omnino simplex.« (ST I, q. 3, a. 7 co.)

Der Leser sieht sich in die disziplinierenden geistlichen Übungen der Mystiker gezogen, die doch allesamt einen, von voyeuristischer Zudringlichkeit befreiten und von jeder Erkenntnis qua Interesse entlasteten klaren, sauberen und unverzerrten Blick auf den zu erhaschen versuchten, der sich immer dann besonders gewissenhaft zu verbergen scheint, wenn man ihm allzu vertraulich kommen will.

© 2020 Christoph D. Hoffmann
Bildnachweise
Thomas und Sebastian: Wikimedia

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