Die einzeln ansteuerbaren Stücke finden sich in André 3000s YouTube-Channel und im Stream.
André 3000: New Blue Sun (2023)
André Benjamin hat offenbar eine Neigung zur Selbstmultiplikation, wie man im Video zu Hey Ya![1] und an seinem reichhaltigen Pseudonymsortiment sehen kann: Dre, Johnny Vulture, Possum Aloysius Jenkins, Dookie Blossom Gain III, Funk Crusader, Love Pusher oder hier eben André 3000, doch berühmt wurde er als die extravagantere Hälfte des Rap-Duos OutKast und ehemaliger Lebensgefährte der geheimnisvollen Neo-Soul-Ikone Erykah Badu (die von sich ebenfalls in zahlreichen dritten Personen spricht). Sein Faible für den radikalen biographischen Relaunch scheint ins Bild einer eifrig sich vervielfältigenden Persönlichkeit zu passen.
Mit sechs Grammys, einer der höchsten »Zitationsraten« seiner einschlägigen Samples, atemberaubenden Verkaufs- und Streamingzahlen und all den Superlativen einer feiernden Presse, gehörte André 3000 zu jener Handvoll von Hip-Hop Big Shots, die sich auch jenseits der Genregrenzen bekannt machen und geradezu zum Stereotyp des exaltierten Rappers avancieren konnten. Nach seinem überraschenden Rückzug von OutKast startete er eine durchaus erfolgreiche Schauspielkarriere, unter anderem in der Titelrolle des Hendrix-Biopics Jimi: All Is by My Side[2] und machte parallel dazu Musik als gelegentlicher featuring artist bei Drake, Frank Ocean, Travis Scott, James Blake und etlichen anderen von Rang und Namen.
Sein bereits seit geraumer Zeit erwartetes, von Hip-Hop-Puristen wohl eher argwöhnisch befürchtetes, erstes Soloalbum erschien nun Mitte November 2023 und stellt den wohl seltsamsten Stilbruch dar, den ich seit Scott Walkers Tilt (1995), Blumfelds Tausend Tränen tief (1999) und Matthias Exlers Pop-Konversion zu den Pictures gehört habe. Es ist eine höchst eigentümliche und unabhängige Flötenplatte, präsentiert von einem gründlich gewandelten André 3000. Nicht mehr der aufgedrehte Klischeerapper mit nacktem Oberkörper, exzentrischen Kostümierungen und weirden Perücken bringt sich hier in breitbeiniger Selbstdarstellung zu Gehör, sondern ein charismatischer und souverän gelöster Endvierziger, der in vornehmer Distanz hinter seinem Werk steht.
Vor diesem Werk steht man dann freilich in einer gewissen Hilflosigkeit. Wie soll man es adressieren, wenn ein eigensinniger Individualist derart freigeistig aus dem Rahmen fällt, oder, wie in diesem Fall, mit mutwilligem Anlauf aus dem Genreframework springt? Mit »Eigentümlichkeit« und »Unabhängigkeit« ist außer dem Eingeständnis der eigenen Verlegenheit ja nicht viel gesagt. Allenfalls gibt man so den störrischen Vorsatz zu Protokoll, den klugen Einordnungen gebildeterer Kenner widersprechen zu wollen.
Als New Age, Minimal Music, Experimental oder Ambient nordete die Kritik mit allgemeinen Charakterisierungen das Spezielle dieser Platte ein und lag, von einer unhaltbaren Ausnahme abgesehen, sicher nicht völlig falsch damit, forderte jedoch, zumindest den Sympathisanten, zu einer entschiedenen »Besonderung« heraus.
Diese Platte hatte mich auf Anhieb eingenommen und über die erste ansprechende Verwunderung hinaus bei sich behalten, bevor ich mir überhaupt Gedanken machen wollte, in welches Fach ich sie mal einsortieren sollte, wenn ich sie denn irgendwann einmal aus der heavy rotation nehmen würde. Mein Impuls, sie gegen vermeintliche Verwandtschaftsbeziehungen und Familienähnlichkeiten zu weniger geschätzten Genres in Schutz zu nehmen, ergab sich dann allerdings als unmittelbarer Reflex und bedurfte weit weniger Anstrengung, als die Trennlinie zum »anderen Guten« zu suchen. Mit abnehmender Feindseligkeit, hier also meine »Ja, abers«, angeführt von einem empörten Einspruch.
New Age? – No way!
Es ist ein ruhiger, unaufgeregter Klang ohne dramatische Elemente oder theatralische Betonungen. Der Tenor vermittelt eine ernsthafte Gelassenheit, enthält sich emotionaler Emphase und vermittelt weder Botschaft noch gegenständlichen Bezug. Man kann den geneigten Hörer also kaum daran hindern, in einen besinnlichen Schwebezustand zu verfallen oder das zu finden, was der obskure Synkretismus des Neuheidentums »Spiritualität« zu nennen pflegt.
Die egozentrische Grundverfassung zeitgenössischer Religionsersatzprodukte sucht die Verarztung der eigenen Psyche und setzt Klang und Rhythmus als Kontemplationsbeschleuniger und Meditationsbooster ein. Diätetisch-konditionierende Hilfsmittel sollen die, wie auch immer beschaffene, »mentale« Verfassung eines »Neuen Zeitalters« der Selbstbespiegelung begünstigen. Unter manch anderem esoterischen Zubrot sind dann auch »musikalische« Ergänzungsmittel inbegriffen. Sie sollen eine sedierende Trance erzeugen und wirre Köpfe entleeren.
Aber nein, hier bleiben die Räucherkerzen aus, wir brauchen die Beine nicht im Lotossitz zu kreuzen, inspirierende Pilze aufzubrühen oder exotische Schutzgeister anzurufen. Statt Patschulischwaden weht uns ein frischer kühler Höhenwind entgegen. So zurückhaltend und »bescheiden« New Blue Sun daherkommt, als »Begleitmusik« ist sie völlig untauglich. So unprätentiös sich diese Platte auch geben mag, der Kunstanspruch auf ungeteilte Aufmerksamkeit ist unüberhörbar.
Wer in träge Nabelschau verfallen möchte, würde von all den überraschenden Wendungen, gewitzten Ideen und hinterhältigen Hakenschlägen verstört, oder sagen wir lieber aufgeweckt. Auf dem meditativen »Weg nach Innen« käme der selbstbezügliche Hörer nicht nur unweigerlich aus der Spur, sondern auf weit interessantere Dinge als die eigene Befindlichkeit.
Die Wendung nach außen, aufs Musikalische hin, wird nicht gefordert, sondern vorausgesetzt. Es erklingt der zwanglose Zwang des klug und klar gesetzten Tons, dem man sich allenfalls durch den Druck auf die Stopptaste entziehen könnte. – Doch wer täte sich das an?
Auch die skurrilen Titel, die so lang sind wie weitläufigen Stücke selbst, scheinen sich von New Age typischen Wegweisern distanzieren zu wollen. Hier geht es weder zum Mare tranquilitatis noch nach Lhasa oder ins Troposphärische und Abyssale. Nirvana und Shangri-La, erst recht Elysium und Equilibrium werden weiträumig umgangen.
Eine erläuternde Grundsatzerklärung wirbt um Verständnis beim Stammpublikum und spielt mit der Doppelbedeutung von »wind« als »Luftzug« und »Blasinstrument«: I Swear, I Really Wanted to Make a ‚Rap‘ Album But This Is Literally the Way the Wind Blew Me This Time. Doch erfahren wir auch Wissenswertes über die Lautbildung der englischen Gegenwartssprache: The Slang Word P(*)ssy Rolls Off The Tongue With Far Better Ease Than The Proper Word Vagina. Do You Agree? Ein originelles Wortspiel – Ninety Three ‚Til Infinity And Beyoncé – nimmt ironischen Abstand zu obskurer Sinnbeschwörung und eine provokative Konfrontation spiritueller Führer mit echt schlimmen Serienmördern rempelt den esoterischen Relativismus regelrecht schroff an und stutzt ihn auf einen handfesten Manichäismus zurecht: Ghandi, Dalai Lama, Your Lord & Savior J.C. / Bundy, Jeffrey Dahmer, And John Wayne Gacy.
Die spannende Frage nach der Klangerzeugung kommt mit That Night In Hawaii When I Turned Into A Panther And Started Making These Low Register Purring Tones That I Couldn’t Control … Sh¥t Was Wild ins Spiel, doch wer hier eine Metamorphose in seinen tierischen Begleiter erwartet, wird wohltuend enttäuscht.
Minimal Music? – Ja, aber …
Eine stattliche Sammlung, teils recht exotisch anmutender, analoger Holzflöten sorgt neben einer digitalen E-Flöte für bemerkenswerte Klangvielfalt. Man glaubt den näselnden Klang einer Oboe zu hören, das etwas schabende Timbre einer indischen Bansuri, schlichte Rohrflöten, vielleicht dem rekonstruierten Klang antiker Auloi nachempfunden. Der elektronisch erzeugte Sound wirkt, sofern er überhaupt als solcher zu identifizieren ist, stets dezent und clean. Allenfalls vermutet man hin und wieder ein zurückhaltendes reverb oder ein zeitweiliges doubling, was dem Ton mitunter eine gewisse Bewegung zwischen den Lautsprechern verleiht. Nirgendwo wird jedoch effekthascherisch gezaubert oder technikverliebt »synthetisiert«. Auch wird hier kein Showcase instrumentaler Bandbreite à la Peter und der Wolf aufgemacht. Die Vielfalt regt an und belebt, doch erzeugt sie keine Wow-Effekte durch innovative Soundimpulse oder spektakuläre Klangemulationen.
André Benjamin zeigt sich weder als Virtuose noch als Blasrohrderwisch à la Ian Anderson. Er markiert eher, als großen Bögen nachzugehen, zusammenhängende Linien zu ziehen, oder klar umrissene Flächen zu füllen. Er skizziert statt zu malen, deutet an statt auszuführen. Der Vergleich zur Minimal Music in der Tradition von Steve Reich oder Philip Glass liegt durchaus nahe. Beharrliche Ostinati, die oft nur aus einem Intervall bestehen, Iteration und Modulation, Dreiklanginterventionen, dazwischen lange Pausen, die einem luftig aufgeschüttelten Klangbett reichlich Raum bieten, allenfalls wird mal eine angedeutete Jazzskala in Angriff genommen.
Während die minimalistische Deflation des musikalischen Materials der akribischen Beobachtung einer durchsichtigen Struktur und der übersichtlichen Darstellung weiträumiger Zusammenhänge dient[3], wirkt die Anordnung der Motive auf New Blue Sun diskontinuierlich, disparat sogar. Die Dekonstruktion des Strukturalismus, wenn man so will, doch ohne deren Ausflucht in die Beliebigkeit.
Experimental? – Ja, aber …
Der stramm gespannte rote Faden durch eine eintönige Minimaltopographie dröselt sich in eine Vielzahl loser Enden auf, die in überraschende Sackgassen, unerwartete Umleitungen und Ebenenwechsel führen. Ins Nasse getupfte Inseln verlaufen in die Umgebung eines durchscheinenden Aquarells. Beiläufige Details wechseln mit nachdenklichen Marginalien. Bisweilen wirken die zahlreichen Neuansätze tentativ und tastend. Zerstreute Versuche, die zugunsten eines reizenden Nachklangs abgebrochen werden. Mäandernde Gedankengänge, die einem stream of conciousness gleichen, der dann völlig unvermittelt »auf etwas gekommen« zu sein scheint, plötzlich innehält, um in eine gespannte Kreisbewegung zu verfallen.
Doch werden hier keine Notizen ins Unreine geschrieben. Die Skizzen sind Skizzen zu etwas, ohne auf Gegenständliches zu verweisen. Die Andeutungen deuten auf etwas hin, ohne auf Referentielles zu zeigen. Die vermeintliche Zusammenhanglosigkeit ist planvoll organisiert und folgt einer ausgereiften Idee, die sich André 3000 so lang und gründlich überlegt hatte, dass man ihm das oft zu lesende Label »experimentell« ersparen sollte.
Ambient? – Ja, aber …
Das umfangreiche Ambientregal liegt gern zwischen dem Fach fürs Experimentelle und dem fürs Esoterische. Das erleichtert das zügige Umsortieren strittiger Kandidaten und bietet großzügig Platz für allerlei Widersprüchliches. Trance und Chillout für die After Hour nach langer Nacht. Ambient Techno für die Tüftler, konkrete Musik für den Sammler des Klangs. Gegenständlich Natürliches aus Meer, Wald und Luft, abstrakt Elektronisches aus dem Sequencer, dazu eine unterschwellige Thetawelle zum Runterkommen.
Stimmung, Atmosphäre und »Ambiente« folgen allerdings durchaus unterschiedlichen Wegen und schlagen mitunter ganz gegensätzliche Richtungen ein. Sie werden impressionistisch eingefangen oder sie sollen suggestiv erzeugt werden.
Saint-Saëns’ Aquarium aus dem Karneval der Tiere etwa hat durchaus Ambientqualitäten, die den Charakter des Szenarios sehr effektvoll und »anschaulich« mit der leider kaum noch gespielten originalbesetzten Glasharmonika nachempfinden können, ohne sich auf »gegenständliches« Tonmaterial zu beziehen (Fische neigen zur Verschwiegenheit und mit den Walgesängen hatte man’s damals noch nicht so). Als ein ansprechendes Beispiel für vorsätzliche »Stimmungsmache« können die Soundscapes von Hiroshi Yoshimura gelten, die als »fest verbaute« akustische Elemente des öffentlichen Raums fungieren sollten und sicher zur Befriedung überfüllter U-Bahnstationen beigetragen und vermutlich manch ausgebrannten Angestellten vom Sprung aus dem Bürofenster abgehalten haben.
Beide »Richtungen«, sowohl die impressionistisch abbildende, wie auch die absichtsvoll induzierte Außenwirkung, mag man durchaus in André Benjamins Platte hineinhören, ja sogar Vogelstimmen, Sommerbrisen und rauschendes Blattwerk heraushören. Doch vermute ich ein intellektuelleres Konzept hinter der New Blue Sun, das einen bahnbrechenden Therapiefortschritt in greifbare Nähe rückt. Statt eines weiteren Grammys oder des Opus Klassik sollte deshalb ein Medizinnobelpreis für diese Platte in Erwägung gezogen werden.
ADHS ist heilbar
Es ist eine Volksseuche, die das Akronym zwingend erforderlich machte, denn die sogenannte »Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung« würde die an ihr Leidenden heillos überfordern. Zunächst hauptsächlich bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert, ist mittlerweile auch die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung davon befallen. Kurios ist freilich, dass sowohl das explosionsartige Anwachsen der Fallzahlen, als auch die gestellte Diagnose selbst zu einem segensreichen Trost für zahlreiche Betroffene wurde. Nicht nur das beruhigende Bewusstsein, Einer von Vielen zu sein, scheint zur Entlastung beizutragen, sondern auch das Wissen darüber, was man denn überhaupt für Einer sei: nämlich ein flatterhafter Geist mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Fruchtfliege und der kognitiven Reichweite eines Jojos.
Ich glaube nicht an irgendwas im Trinkwasser, das Erbgut oder Handystrahlung, die unsere Frontallappen durchgart. Es ist der Zeitgeist, der ausnahmslos uns alle heimsucht und mit seinem Partikelstrom zur geistigen Miniaturisierung drängt.
Man muss sich ja nicht immer gleich in die Serpentinen der Proustschen Periode versteigen oder in epischen Gitarrensoli aus den 70ern schwelgen, aber wenn ein übersichtliches Haupt-Nebensatz-Gefüge zur WTF-Zumutung wird und die Schnipselwelt der TikTok-Shorts, gestammelten Tweets und reflexgesteuerten Chats ein Leben in Pröbchen und Portiönchen benötigt (man erinnere sich an jene »diagnostische« Szene aus Fight Club ), dann passt man sich wohl lieber mal an.
Wir legen uns einen zeitgemäßen geistigen Stoffwechsel zu, schwirren wie die Kolibris zwischen farbigen Flecken hin und her und saugen uns, mal hier, mal da, ein süßes Tröpfchen, dann und wann. Es ist die selbstverschuldete Adaption der hibbeligen Suchmaschinen an eine verpixelte Klitzekleinkultur, die uns zu den taumelnden Wirrköpfen macht, die es doch nicht anders wollten. Also bitte liebe Opfer, Finger weg vom Ritalin, übernehmt Verantwortung, filtert das Rauschen und hört einfach mal hin. Legt die New Blue Sun auf und ihr werdet rehabilitiert.
Nicht durch hartes Training auf einem überlangen Parcours (die Platte ist knapp anderthalb Stunden lang und umfasst drei Vinyl LPs) mit herausfordernden Challenges (sechs der acht Stücke dauern zwischen 10 und 17 Minuten) erfolgt die Wiederherstellung der Zurechnuungsfähigkeit, sondern durch das freie Spiel zwischen ungebundenen Attraktionen. Wir hören eine lange Platte ohne Längen, mit kleinen Teilen, die doch nie ins Kleinteilige zerfallen. Ein weites Feld mit kurzen Wegen. Ein Spaziergang eher als eine zielstrebige Wanderung. Gebannte Aufmerksamkeit, die sich nicht zwingen muss. – Konzentrier’ dich, sitzt gerade? – Nein, dies ist kein Frontalunterricht, sondern ein geradezu montessoriges Selbstbelehrungsmodell, ideal für Arbeitsscheue und notorische Autoritätsverweigerer.
Einen Lehrplan braucht es nicht. Wie der Reiz eines Pollocks sich nicht im Checken der Flecken erschöpft und ein verpasster Kleckser uns nicht aus dem schweifenden Spiel des Auges wirft, hören wir uns einfach mal um und werden fündig, ohne zu suchen. Wir lassen’s erst mal laufen und schon kommt einem etwas entgegen. Alles fliegt einem zu, nichts müssen wir tun und doch werden wir nicht durch die Magensonde ernährt. Wir fangen die Früchte im freien Fall und dürfen uns zurechnen, zum Greifen nah gestanden zu haben.
Im höheren Sinn des Wortes ist dies ein erbauliches Album. Man gibt sich die Zeit, die André 3000 sich nimmt und eh man sich’s versieht, finden wir uns in den geordneten Verhältnissen wieder, die wir uns selbst eingerichtet haben. Ohne Rohrstock und Selbstdisziplin bleiben wir im Flow unseres wachsamen Gehörs und sind erstaunt, wozu ein multimedial verfluster Kopf noch imstande ist, hat man ihn nur erst mal gründlich durchgelüftet und ihm die Gelegenheit geboten, sich aus eigenem Antrieb neu zu bestücken. Wie im Flug trägt es einen durch diese Platte. Ein ungewohntes und neuartiges Gefühl stellt sich ein. Ansätze von Selbstachtung zeichnen sich ab. Man hat doch tatsächlich ganz gut aufgepasst.
Album des Jahres
Eine Weile hatte ich mit Lana Del Reys Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd geliebäugelt, doch eigentlich schien mir Kali Uchis Red Moon In Venus übers letzte Jahr als mein Favourite gesetzt. Eine fleischfressende Pflanze lässt ihre Tentakel durch tropische Lustgärten schlängeln. Schamlos dekadent, lasziv sich räkelnd, schimmernd von aufreizendem Bling Bling. Ein unwiderstehliches must hear also.
Erst spät im Jahr musste sich die Venusfalle schließlich doch noch geschlagen geben. Die guilty pleasure sollte klarer Einsicht, der Sound lüsterner Sinnlichkeit dem cleanen Klang erfrischender Vergeistigung weichen. So steht’s geschrieben, so soll es sein und zu danken ist’s meinem Album von 2023: André Benjamins Frischluftplatte New Blue Sun.
[1] Hey Ya! von dem Doppelalbum Speakerboxxx/The Love Below (2003).
[2] Trailer zu Jimi: All Is by My Side (2013), ein Biopic über Hendrix’ frühe Londoner Jahre mit André Benjamin in der Titelrolle.
[3] Víkingur Ólafsson spielt Philip Glass’ Étude No. 5.
© 2023 Christoph D. Hoffmann
Bildnachweise
OutKast: Store norske leksikon | Aulosspieler: Wikimedia